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Artikel über das Wirken von Herrmann Brachmann: Architektonisches Schmuckkästchen - 40 Jahre Sanierungstreuhand Ulm
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- Geschrieben von Tobias Weber
- Erstellt: 19. Juni 2017
Im Folgenden zitieren wir gerne die Südwestpresse, die einen Artikel über den aus Landsweiler stammenden Herrmann Brachmann veröffentlicht hat:
Haus Griesbadgassse
Rabengasse 13, das Haus, das Hermann Brachmann nicht nur Nerven kostete. Um ein Haar wär’s um den damaligen Geschäftsführer der Sanierungstreuhand geschehen gewesen. Die Geschichte geht so: Irgendwann Ende der 80er Jahre hatte Brachmann das Gebäude, das aus dem 15. Jahrhundert stammte, untersuchen wollen. Abbruch oder Sanierung? Der Boden im Wohnzimmer beantwortete die Frage: Brachmann steckte plötzlich bis zur Hüfte im Boden, „drunter war das Lager mit leeren Flaschen“. Böse, sehr böse hätte das enden können . . .
Tour Wer Hermann Brachmann auf seiner Tour durch die Sanierungsgebiete begleitet, braucht Stehvermögen. Weil der ehemalige Obersanierer zu fast jedem Haus auch eine Anekdote parat hat. Wie die vom Haus Kohlgasse 20, eine Adresse, die es über Ulm hinaus zu ziemlichem Ruhm und Brachmann „schlaflose Nächte“ gebracht hat. Um das jetzt nicht falsch zu verstehen: Nicht das „Aquarium“, die frühe Heimstatt des schwulen Ulms, ließ ihn wach liegen, sondern die Bewohner des obersten Stockwerks, die im Keller illegalerweise Strom abzapften und Leitungen durchs Treppenhaus führten. „Ich war froh, als die endlich draußen waren.“
Miserable sanitäre Verhältnisse
Zwei Dutzend Interessierter führte Brachmann am Samstagnachmittag durch die Kohl- und Rabengasse und ins Quartier Auf dem Kreuz; eingeladen dazu hatte die Sanierungstreuhand anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens. Mit dabei auch Dirk Feil, sein Nachnachfolger im Amt, der wie die anderen Teilnehmer staunte über Zahlen und Fakten. Oder über Plätze, die man bislang nicht wahrgenommen hat, weil sie nicht auf der persönlichen Rennstrecke liegen. So über den Platz, den die SAN zwischen Herrenkeller- und Kohlgasse geschaffen hat. „Das Areal war total überbaut, wir haben es entkernt.“ Heute stehen dort drei moderne Häuser, daneben gibt es Grün. „Wir haben immer versucht, grüne Inseln, grüne Lungen ins Spiel zu bringen.“
Ohne Anschluss Wie wichtig die Arbeit der SAN war, zeigt die Ausgangslage in den 60er Jahren. Nicht nur, dass viele Häuser nördlich des Münsters und Auf dem Kreuz eine marode Bausubstanz aufwiesen, von den sanitären Verhältnissen ganz zu schweigen. Bäder und Toiletten auf den Treppenabsätzen, ja, es gab sogar Häuser, die nicht an die Kanalisation angeschlossen waren. Wer dort lebte? Zurückgeblieben waren in diesen Vierteln vor allem alte Leute, Menschen, die sich die Sanierung der Häuser aus eigener Kraft nicht leisten konnten. Und natürlich Menschen mit Migrationshintergrund, Gastarbeiter. „Ihr Anteil betrug im Gebiet Stadtmitte/Münster 35 Prozent, Auf dem Kreuz waren es sogar 42 Prozent“, hat Brachmann in Erinnerung, der damals sein Büro mitten im Quartier hatte: in der Sebastianskapelle in der Hahnengasse. Brachmann wäre nicht Brachmann, wenn er nicht auch eine Anekdote zur dieser 1415 erbauten Kapelle hätte, respektive zur Tür, die aus dem Jahr 1900 stammt und die Szene aus dem Paradies zeigt. Adam und Eva als Relief, nackt natürlich, wie Gott sie schuf. Weil der Schreinerlehrling es besonders gut meinte, ließ er die Tür durch die Hobelmaschine, „und da waren die Brustwarzen der Dame verschwunden“, sagt Brachmann, der hier hautnah erlebte, wie die Menschen hausten. Da nimmt er kein Blatt vor den Mund. „Das Viertel drohte zu verslumen.“ Gutachter sahen nur eine Lösung: die Flächensanierung, also den Totalabriss.
Ein Quartier mit vielen Kleinoden
Doch davon nahm die Stadt Abstand. Glücklicherweise. Denn die Sanierung machte aus dem Scherbenviertel, das seinen Ruf weg hatte, ein Vorzeige-Quartier mit vielen Kleinoden. Wie beispielsweise dem Jugendstilhaus an der Ecke Hahnen-/Griesbadgasse. Eigentlich ein Fachwerkhaus, „wir haben das thermografisch untersucht, der Besitzer hatte ein Faible für Jugendstil und die Balken 1920 einfach unter Putz gelegt.“
Zurück zum Anfang, zur Rabengasse 13. Brachmann wollte das Haus abreißen lassen, Kamin und Dach waren schon weg. Dann erhielt er eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen des Abrisses. Die Arbeiten wurden eingestellt. Sieben oder auch acht Jahre lang tat sich nichts, bis sich ein Investor fand. „Jetzt ist das Haus doch gut gerichtet“, sagt Brachmann und grinst sich eins. Und die Dienstaufsichtsbeschwerde. Schwamm drüber!
Kommentar zu 40 Jahre Sanierungstreuhand Ulm: Aller Ehren wert
Gott schütze dieses Haus vor Not und Feuer, vor Stadtsanierung und der Steuer.“ Die Sanierungstreuhand (SAN) Ulm stellt ihrem Buch „Wandel gestalten“ diesen etwas modifizierten Haussegen nicht von ungefähr voran: Manche Hauseigentümer und Bewohner hielten die SAN für ebenso verzichtbar wie einen eitrigen Backenzahn – und das nicht nur in der Anfangszeit ihres nunmehr 40-jährigen Bestehens.
Dass sich die SAN mittlerweile aber selber mit einem Augenzwinkern betrachten kann, hat einen guten Grund: Die Arbeit, die die kleinste städtische Tochter seit 1977 leistet, kann sich sehen lassen, sie ist aller Ehren wert. Gleichermaßen innovativ wie behutsam hat die SAN den Umbau der Stadt vorangetrieben. Da wurde nichts Fremdes übergestülpt, kein Quartier tot- oder Bewohner hinaussaniert. Von Gentrifizierung kann also keine Rede sein. Konzepte wurden und werden auf die Bedürfnisse des jeweiligen Viertels angepasst und über die Jahre mit langem Atem umgesetzt.
Wie würde beispielsweise das Quartier Auf dem Kreuz ohne die SAN heute aussehen? Oder was wäre mit der Kohl- und der Rabengasse? Oder um nach Söflingen zu gehen: Dort teilten sich Bewohner der Schlossergasse bis in die 90er Jahre ein Plumpsklo im Garten. Bei aller Liebe zur Natur: Wer will das heute noch?